Russ-ski luxury & guest workers: incognito“ (2011/2012)

[Medien: Mittelformat- & Digitalfotografien, Dyptichen, 2 Tryptichen, Holzstabobjekt, 33 Holzmodule]

Lektüreangebot von Herbert Justnik
In manchen Angelegenheiten sind wir auf Berichte angewiesen. Auf Formen von Vermittlung eines Geschehens oder Sachverhaltes, von dem wir uns selbst kein Bild machen können. Im Falle der Bauten für die Winterolympiade 2014 nahe Sotschi wissen wir als durchschnittliche Medienkonsumenten relativ wenig. Wir haben vielleicht den Vergabeprozeß mitbekommen und all die repräsentativen Gesten und Auftritte, die in diesem Zusammenhang gezeigt werden, wahrscheinlich auch die Produktion von großer Bedeutung, die dabei erzeugt wird. Wir bekommen als Sportkonsumenten die Vorberichtrstattungen und Vorbereitungen des Internationalen Olympischen Kommitees und der globalen Sportindustrie mit. Neben all diesen Aufladungen können wir aber auch bei ausführlicher Recherche kaum etwas finden von dem, was dort momentan gerade passiert.

Catherine Ludwig ist über die Frage, was es mit dem Phänomen des sogenannten "Russentourismus" in Tirol auf sich hat, auf die Idee gekommen, diesen Spieß umzudrehen und als deutsch-österreichische Skitouristin "verkleidet" nach Sotschi gefahren.

Im Gegensatz zur vorauseilenden medialen Abfeierung der Winterolympiade 2014, der größtes Entwicklungspotential für die Region Sotschi zugeschrieben wird, und die dort auch umfangreichste Bau- und Infrastrukturmaßnahmen in Gang gesetzt hat, hat sie von ihrer Reise etwas Anderes mitgebracht. Bilder, die die BetrachterIn sonderbar rühren können. Auf einem davon ist nicht viel mehr zu finden, als eine unklar strukturierte Schneefläche, ein paar Klumpen Schnee verteilt auf einer Fläche Schnee, ein winziges schief stehendes Bäumchen, ein roter Stab der im Schnee steckt, drei Stangen die zu einer nicht deutbaren Konstruktion zusammengefügt sind. Sonderbare Bedeutungslosigkeit, die den Betrachter verloren und ohne Anhaltspunkt zurück-lässt. Zurückwirft auf ein Selbst, das in der Betrachtung nicht weiß, wo es hin soll. Damit lässt sich das nachvollziehen was für die Fotografin das dominante Gefühl in der Baustellenlandschaft der Skigebiete nahe Sotschi war. Sie fühlte sich fehl am Platz, allerdings nicht angesichts der mächtigen Berglandschaft, die leicht ein Gefühl der Verlorenheit hervorrufen kann, sondern angesichts dessen, dass sie hier in einem für TouristInnen ausgerichteten Gebiet nicht das Gefühl hatte, willkommen geheißen zu werden. In Laternen sind 360-Grad-Überwachungskameras versteckt, überall lehnt Wachpersonal herum – während Ihres Besuches gab es einen Bombenanschlag auf eine der Seilbahnen im Elbrus-Skigebiet. Es sind unterschiedlichste Spuren, die sie in ihren Bildern verfolgt, um diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Ein Gefühl, das sich aussetzt und Fragen stellt, dort wo es keine leicht zugänglichen Informationen und Antworten gibt, das aber dennoch versucht, etwas sichtbar zu machen.

Ein Diptychon : Auf der linken Seite finden wir einen massiven Zaun aus senkrechten Eisenstäben in rechteckigen Rahmen. An der Oberkannte des Rahmens richten sich abgewinkelte Metallstangen wie Periskope oder Hörner dem Ausserhalb dieses Zaunes entgegen. Die einzelnen Kompartimente des Zauns staffeln sich von linken Rand des Bildraumes nach vorne in eine Ecke, die sich der BetrachterIn entgegenstellt und sich dann nach rechts in eine unbegrenzte Tiefe zurückzieht. Davor befindet sich eine Schneefläche, bei der durch das diffuse Licht nicht klar ist, wie sie sich formt, die keinen Aufschluss darüber gibt, wo die BetrachterIn steht, die praktisch das Bild von ihr abschneidet. Wahrscheinlich innerhalb des Einschlusses, den der Zaun bildet, ragen Bäume hoch, die wie eine Langzeitbelichtung bei Nacht wirken, gespenstisch aufragen und wie ferne übermächtige Riesen erscheinen. Am rechten Bild des Diptychons finden wir einen Luster, der sich in einer konvexen Form von der Decke herunter wölbt. Er ist es, der Licht gibt, das aber nur als ein Halo in einer leichten Verschiebung rund um ihn herum wahrnehmbar ist. Rundherum ist es dunkel. Ein Luster, der nicht klar macht, ob er aus kostbarem oder billigem Material ist, der aber eine mondäne Repräsentationsgeste darstellt. Er hängt, hier kommt eine nicht aus dem Bild ablesbare Information herein, in einem Luxushotel. Ein Luxushotel, das in der Konfrontation mit dem ausschliessenden Charakter des Zaunes – der ein Gelände von Gazprom eingrenzt - sofort auch selbst eine ausschließende Qualität bekommt.

Fortgesetzt wird die Darstellung dieses Unbehagens wer hier wo und vor allem wie willkommen geheißen wird mit einer Ansicht eines Plastikzeltes ohne Lüftung mit billigem Angebot für die einen, und der Darstellung des rustikalen Ambientes mit offenem Feuer unter Hirschgeweih für die anderen.

Sehen stellt in dieser Verlorenheit der fragenden Beobachterin die einzige Möglichkeit dar, sich zu orientieren. Catherine Ludwig stellt scheinbar Unpassendes zusammen, ohne diese Phänomene im Detail klären zu können, stellt aber damit Sichtbarkeit her.

Ein Triptychon : Ein Modell der Skiregion, das die Mächtigkeit der olympischen Bauten zeigt. Daneben ein toter Vogel und ein streunender Hund. Ein toter Vogel, der einer Vielzahl toter Vögel angehört. Keine Möglichkeit aber während eines zehntägigen Besuches herauszufinden, warum hier so viele tote Vögel sind. Ein Beispiel für die Informationsbarrieren, vor denen eine Besucherin eines Ortes steht, der in wenigen Jahren für kurze Zeit mit einiger Lautstärke durch das weltweite Mediengeschehen geistern wird. Aber auch eine Möglichkeit, über diese Konfrontation der Bilder ein Befremden und Misstrauen auszudrücken, das mit diesem Besuch nicht ausgelöscht werden konnte.

Wem sollen wir hier glauben? Der schönen Vision vom weltbewegenden Großereignis und den Segnungen, die es den Besucher-Innen und der Region bieten wird, oder der Erzählung von der Verlorenheit und den verdächtigen Spuren auf die uns die Künstlerin stößt?

Für wen stellt Catherine Ludwig ihre Fragen? Sie steht hier stellvertretend für den Wunsch nach Information über ein intransparentes Geschehen und für ein Misstrauen: Können wir denn diesen pompösen Entwürfen noch oder wieder Glauben schenken? Auch dann, wenn sie schon während ihrer Entstehung so feindlich wirken? Die Bilder erzeugen ein Gefühl der Ohnmacht, des "ich weiß nicht was ich damit anfangen soll, wo ich hin soll", des "wie soll ich diesem Großprojekt gegenüber ein Gefühl der Hochachtung und Hoffnung entwickeln?". Wie war denn das in China, tolle beeindruckende Architektur – aber, wie hier: unter welchen Bedingungen mit welchen Mühen entstanden? Können denn die Versprechen der Nachhaltigkeit, bei so einem massiven, so überhasteten Eingriff in eine Landschaft überhaupt gehalten werden ? Hat die Künstlerin die Zeichen der Ansteckung, die fröhliche Hoffnung geben sollen, übersehen? Gesehen hat sie sie, aber sie wirken seltsam verloren – Papierflieger, die in eine lichte Zukunft geschickt werden, dann aber eine Straße ohne Gehsteig. Eine Lokomotive für Kinder, aber keiner macht sich die Mühe sie frei zu räumen, die Palmen im Luxusressort aber werden geschützt. Und dann: ein Skigebiet in einer Region die eigentlich zu warm für den Wintersport ist? Was hat es mit der Widersprüchlichkeit der Zeichen und der Spärlichkeit der Informationen angesichts der immensen Dimensionen dieses Projektes auf sich?

Stellen diese Bilder wirklich die richtigen Fragen? Sind wir zu misstrauisch? Können wir nicht einfach den Versprechungen einer schönen neuen Welt trauen?

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Als Pendant zum realisierten Projekt „Luxury tourism – incognito“ (2010), habe ich im vergangenen Winter den Skitourismus und den Bauboom der Winterolympiade in Krasnaya Polyana und in Sotschi unter die Lupe genommen.

Als herkömmliche Skitouristin „getarnt“ hat mich sowohl der soziale Umgang der Skitouristen, des Hotelpersonals und der Arbeiter auf den Baustellen interessiert, wie auch die architektonischen Eingriffe (Piste, Infrastruktur, Hotels) in Sotschi und Krasnaya Polyana/Estosadok, im Skigebiet der olympischen Winterspiele 2014.

Mit freundlicher Unterstützung von: BMUKK

Concerning some things, we must rely on reports – on formats that tell us about events or matters of fact we cannot see for ourselves. As average media consumers, we know fairly little about the structures being built for the 2014 Winter Olympics in Sochi. We may have heard about the bidding process and seen all the representative gestures and presentations that were staged in this connection; we probably also noticed the production of grand significance that went with it. Yet all such symbolism aside, even with extensive research it is virtually impossible to find out about what is currently going on there.

The question of what the phenomenon called “Russian tourism” in Tyrol was about gave Catherine Ludwig the idea of turning the tables – she would travel to Sochi “disguised” as a German-Austrian ski tourist.

What she has brought back from her trip contradicts the advance praise adulatory media lavish on the 2014 Winter Olympics, which are described as offering immense potential for the Sochi region and have indeed set large-scale construction and infrastructure projects in motion. The pictures she created may strike the beholder as oddly touching.

To the inquiring observer who has lost her way seeing is the only possible way to regain her footing. Catherine Ludwig juxtaposes what would seem incompatible, phenomena she cannot entirely make sense of; but that is what allows her to generate visibility.

As a counterpart to the completed project "Luxury tourism - incognito" (2010), I explored the ski tourism and construction boom of the Winter Olympics 2014th in Sochi, Krasnaya Polyana. I was "disguised" as a traditional winter tourist and had an untroubled view of the behavior of the winter tourists, the police, the supervision personnel and the workers on site. Beyond the “soft power” i was interested in the research of the architectural interventions (infrastructures, hotels) and the inter-ventions and invasions in the nature to build up the “Olympia-infrastructure” (slopes, ski piste, jump) in Sochi and Krasnaya Polyana/Estosadok.